In diesem Praxisbeispiel erfahren Sie, wie eine fakultätsübergreifende Zusammenarbeit anhand eines interdisziplinären Praktikums den Studierenden praxisbezogene Lernerfahrungen ermöglicht und zugleich Kompetenzen fördert. Sie erhalten einen Einblick in den Aufbau, die Herausforderungen sowie Vorteile der Kooperation innerhalb des Praktikums.
Die Herausforderung
Das interdisziplinäre Arbeiten zwischen verschiedenen Fachbereichen und an unterschiedlichen Schnittstellen ist ein wesentlicher Bestandteil der heutigen Arbeitswelt. Auch in den Studiengängen verschiedener Fakultäten finden sich immer wieder ähnliche Projekte, Inhalte und Themengebiete wieder, werden jedoch aus unterschiedlichen Blickwinkeln bearbeitet. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit wäre hier durchaus wünschenswert, um bereits während des Studiums die unterschiedlichen Fachrichtungen für andere Bereiche und Themen zu sensibilisieren. Die Trennung der Fakultäten und Stundenpläne erschwert jedoch eine Kollaboration in den Modulen, welche für praxisnahe Erfahrungen der Studierenden wünschenswert ist.
Die Lösung
Die Lehrenden Prof. Tilman Zitzmann aus der Fakultät Design, Prof. Dr. Patrick Harms, Leiter des OHM-UX, sowie Mitarbeiterin und Medienpädagogin Frau Katrin Proschek erkannten den Mehrwert in einer Zusammenarbeit ihrer Fachgebiete im interdisziplinären Berufsfeld User Experience (UX). Ihr Seminar „Digital Experience Design“ und das Praktikum „Usability Engineering“ verliefen bisher getrennt voneinander. Im Wintersemester 2021/22 ermöglichten die Lehrenden den Studierenden jedoch erstmals eine interdisziplinäre Kooperation.
Das neue Konzept verknüpft dabei das Modul „Digital Experience Design“ des Bachelorstudiengangs Design abwechselnd mit den Modulen „Ergonomie und Usability Engineering“ des Bachelorstudiengangs „Media Engineering“ sowie “Usability Engineering” in den Masterstudiengängen „Elektronische und Mechatronische Systeme“ und „Applied Research in Engineering Sciences“.
Im Praktikum entwickeln und gestalten die Studierenden der beiden jeweiligen Disziplinen gemeinsam einen Prototyp für eine Smartphone App. Dabei verfolgt jeder Fachbereich weiterhin seinen eigenen Fokus, ergänzt die Erfahrungen aber über die eigene Disziplin hinaus. So gestalten die Designer*innen die Smartphone App mit Ansätzen der User Experience und testen Funktionalitäten aus Design-Perspektive. Die Studierenden der Engineering Kurse legen Ihren Fokus hingegen auf die Evaluation. Schnittpunkte ergeben sich vor allem bei der gemeinsamen Erarbeitung der Anforderungen, der prototypischen Entwicklung und dem Testen der Smartphone App.
Wo zuvor die jeweiligen Fachbereiche getrennt Ihr Praktikum durchliefen, erhalten alle Studierenden die Möglichkeit vielschichtige Lernerfahrungen in den Prozessen der Entwicklung, Gestaltung, Evaluation und der Usability zu sammeln.
Ablauf des Praktikums
Initiiert wird das Praktikum durch eine Einführungsveranstaltung, an der sowohl Designer*innen als auch Engineers teilnehmen. Die Veranstaltung dient dazu, dass sich die Studierenden kennen lernen, Gruppen bilden und den Grundstein für die Aufgabe im Praktikum legen. Im Schnitt bilden sich 10 Teams, die je eine Smartphone App als Prototyp entwickeln.
Das Thema ist seit dem Wintersemester 2022/23 die Entwicklung einer App zur Studienunterstützung. Dies gibt den Studierenden einen relevanten Bezug zum Produkt und setzt Sie selbst als Zielgruppe in den Fokus. Dies kann die Motivation zur Produktentwicklung maßgeblich steigern.
In der Erarbeitung der Aufgabe durchlaufen die Studierenden die Prozesse der Konzeption, der Anforderungserhebung, der Dokumentation, sowie der Erstellung von Personas, Nutzungsszenarios oder User Journeys.
Im Verlauf des Praktikums organisieren sich die Gruppen selbst, meist asynchron über digitale Kommunikationskanäle und Tools.
Die Erarbeitung und Ergebnisse der Zusammenarbeit an einem Prototyp werden auf einem Miro-Board gesammelt. Somit können die Teammitglieder sowie Lehrpersonen jederzeit den Prozess der Entwicklung einsehen, was die asynchrone Arbeit unterstützt.
Die Betreuung der Studierenden durch die Lehrenden findet weiterhin in den jeweiligen Kursen statt. Dort erhalten die Studierenden parallel zu dem Projekt das benötigte Wissen und Feedback. Auch Fragen und Herausforderungen können hier geklärt werden. Die Lehrenden nehmen in dem Projekt die Rolle von Coaches ein.
Die Prüfung am Ende des Praktikums findet weiterhin über die jeweiligen Kurse statt, in jeweils unterschiedlicher Form. In den Engineering Kursen wird eine schriftliche Prüfung absolviert im Kurs der Designer entspricht die Art der Prüfung einer Studienarbeit.
Ein gemeinsamer Termin am Ende des Praktikums schließt den Kurs und die Zusammenarbeit ab. Die Studierenden haben zudem die Möglichkeit Feedback zu dem Praktikum auf einem Miro-Board zu geben. Dies ermöglicht die Verbesserungen der folgenden Semester.
Vorteile der interdisziplinären Zusammenarbeit
Das interdisziplinäre Praktikum macht die reale Arbeitswelt und die Zusammenarbeit verschiedener Fachbereiche für die Studierenden erleb- und erfahrbar. Dies fördert zusätzlich zu den praxisnahen Erfahrungen auch vielseitige Kompetenzen, darunter die Kommunikationsfähigkeit, die Koordination und Organisation, das selbstgesteuerte Lernen und einiges mehr.
Das Lernziel des Praktikums ist die fachübergreifende Sprach- und Handlungsfähigkeit der Studierenden zu fördern. Anforderungen aus der Praxis werden durch die Zusammenarbeit direkt abgebildet, was den Studierenden den Einstieg in die moderne Berufswelt erleichtert.
Ein wichtiger Aspekt der Mensch-orientierten Produktentwicklung und -gestaltung, ist der Fokus auf die Bedürfnisse der jeweiligen Zielgruppe. Im Kurs erhalten die Studierenden die Zeit, sich intensiv mit ihrer Zielgruppe und den Motivationen sowie Bedürfnissen ihrer Nutzer*innen auseinander zu setzen.
Weiterhin eröffnet das Praktikum Erfahrungswerte und Wissensbereiche, die über den eigenen Fachbereich hinaus gehen. Anders als bei getrennten Praktika, haben die Studierenden die Chance durch nutzerorientiertes Feedback und der Ergänzung durch den anderen Fachbereich die App umfangreicher zu entwickeln. Beispielsweise profitieren die Designerinnen durch die Mitwirkung der Engineers von durchdachteren Konzepten, präziseren Interaktionen und genaueren Zielgruppenanalysen. Dies war in solchem Umfang zuvor nicht möglich. Die Studierenden aus dem Fachbereich Engineering wiederum können anhand der designten Prototypen umfassende Evaluationsergebnisse erarbeiten und bekommen zudem grundlegende Einblicke in die vielfältigen zu beachtenden Designaspekte.
Auch die digitalen Medien bereichern die Art des Praktikums. Die Prototypen lassen sich über Tools, wie beispielsweise Adobe XD und Figma ganz einfach übertragen und bereitstellen. Austausch und Testing kann somit jederzeit stattfinden. Die Ergebnisse sind für jede involvierte Person einseh- und erfahrbar.
Erfahrungen und Feedback
Das Praktikum wurde bereits drei Mal in dieser Form durchgeführt. Bei der Zusammenführung der Praktika mussten die bestehenden Kurse nur zu kleinen Teilen angepasst werden. Darunter beispielsweise die Reihenfolge der Inhalte, damit das Wissen im Projekt zur entsprechenden Phase bekannt ist. Auf der Ebene der Module und Stundenpläne fand keine Änderung statt. Ergänzt wurden die Termine zur Einführung und für den Abschluss. Auch die Vermittlung von Lehrinhalten wird wie zuvor gesteuert. So werden im Studiengang Design die Lehrinhalte über das Wiki der Fakultät Design und für die Engineers in einem Moodle-Kurs zur Verfügung gestellt.
Der Aufwand für die Studierenden bleibt ähnlich und ist den ECTS weiterhin angemessen. Die Organisation der Gruppenarbeit innerhalb des Praktikums übernehmen und koordinieren die Studierenden selbst. Die Erfahrung aus den drei durchgeführten Praktika hat gezeigt, dass diese Art der Zusammenarbeit gut funktioniert. Die Teamentwicklung wird von den Lehrenden und Lernenden positiv wahrgenommen.
Allerdings ist die Organisation, gerade am Anfang und Ende eines Praktikums, z.B. mit der Vereinbarung gemeinsamer Termine, von Studiengängen unterschiedlicher Fakultäten schwierig.
Wichtig ist hier die Kommunikation zwischen den Lehrenden, denn gerade durch ihr Engagement, wird das Praktikum in dieser Art – der interdisziplinären Zusammenarbeit – überhaupt möglich. Diesen zusätzlichen Aufwand nehmen die Lehrpersonen für die größeren Lerneffekte gerne in Kauf. Der Erfolg zeigt sich auch in der Evaluation und dem Feedback der Studierenden, die sowohl positiv als auch konstruktiv ausfallen.
Ausschnitte aus dem Feedback von Studierenden
„Sehr unkompliziert“
„Man war hauptsächlich selbstverantwortlich“
„Zufrieden. Aber schwierig ein gemeinsamen Termin zu finden zwischen Designis und ME zur Bearbeitung von Inhalte, wegen unterschiedlicher Stundenplan“
„Sehr zufrieden mit den Designs. Gibt aber bestimmt auch Gruppen, die damit Probleme hatten“
„Nette Designi, hat perfekt funktioniert“
„Allgemein den Prozess kennenzulernen, wie so eine Appkonzipierung abläuft“
„Cognitive Walkthrough“
„Zu wenig Zeit zur Besprechung der Praktikumsstoffs (bsp.: Von 3 personas die man vorbereiten musst für das Praktikum, hat man nur eine geschafft zu besprechen)“
Eine anfängliche Befürchtung, dass die Kultur zwischen den Fakultäten und Studiengängen schwierig sein könnte, hat sich nicht bestätigt. Im Gegenteil, die Studierenden sowie die Lehrenden befinden sich auf Augenhöhe. Jeder im Team ist wichtig, es entsteht kein Wettbewerb zwischen den beiden Disziplinen und der Austausch zwischen den Fachbereichen wird sehr geschätzt.
Ein Wunsch zeichnet sich für die Zukunft der interdisziplinären Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Fakultäten ab. Das Aufbauen von disziplinübergreifenden Kursen und Veranstaltungen, um Kompetenzen fördern und Lerneffekte zu steigern, muss vor allem auf administrativer Ebene, wie z.B. durch den Abgleich von Stundenplänen, vereinfacht werden.
Der Beitrag wurde veröffentlicht im Januar 2023 und zuletzt aktualisiert im Januar 2023.