Studierende des Fachs Wirtschaftsinformatik belegen an der Fakultät Informatik im 3. Bachelor-Fachsemester verpflichtend das Modul „Rechnungswesen und Controlling“. In 6 Semesterwochenstunden setzen sich die Teilnehmer mit dem Internen und Externen Rechnungswesen von Institutionen sowie dem Controlling als Führungsaufgabe auseinander. In etwa 100 Studierende hören das Fach und schreiben sich für die Klausur am Semesterende ein.
Die große didaktische Herausforderung des Moduls liegt im völlig unterschiedlichen Vorwissen der Studierenden. In einem extremen Fall erlangt der*die Studierende die Hochschulreife am Gymnasium in einem sprachlichen oder technischen Zweig, in dem nahezu keinerlei Wirtschaftswissen vermittelt wurde. Im anderen Fall absolviert der*die Studierende bspw. den Wirtschaftszweig einer Realschule und hat zusätzlich noch eine Fach- oder Berufsoberschule mit wirtschaftlicher Ausprägung besucht. Gerade bei Letzteren ist das Vorwissen im Internen und Externen Rechnungswesen sehr hoch. Das Konzept hilft dabei, ein passgenaues Übungsangebot für die unterschiedlichen Gruppen zu erstellen.
1) Seminaristischer Unterricht (Vorlesung) mit Mitmachskript
Etwa 70-80 von den eingeschriebenen Teilnehmern besuchen regelmäßig die Vorlesung mit zwei Doppelstunden in der Woche. Auf der Lernplattform Moodle wird ein PDF mit den Folien zur Verfügung gestellt. Es dient als Grundlage und roter Faden durch die Veranstaltung. Es ersetzt aber nicht den Besuch der Veranstaltung, da immer wieder zusätzliche Aufgaben, Diskussionen und Inhalte entwickelt werden, die nicht 1:1 auf den Folien stehen. Zum Zweck der Verständniskontrolle bearbeiten die Studierenden pro Veranstaltung im Durchschnitt 2-3 Aufgaben in der großen Gruppe. Die Dauer einer solchen Aufgabe überschreitet nicht 10 Minuten.
Die meisten Studierenden lösen die Aufgaben mit der nebensitzenden Person. Einige wollen es auch lieber selbst versuchen. Anschließend wird die Lösung vom Professor vorgestellt und gegebenenfalls alternative Lösungen diskutiert oder Verständnisfragen geklärt.
2) Geteilte Übungsgruppen
Zum einen wird die große Gruppe der Teilnehmenden in zwei Gruppen nach Alphabet geteilt. Beide Gruppen erhalten eine eigene 90-minütige Übung. In den beiden Übungsgruppen wird das unterschiedliche Übungsinteresse der Studierenden wie folgt berücksichtigt:
(A) Grundsätzlich wird auf der Lernplattform Moodle ein Aufgabenskript inklusive Lösungsvorschläge zur Verfügung gestellt. Der Auftrag an die Studierenden lautet, sich die Lösungen erst anzusehen, wenn sie selbst die Aufgaben des jeweiligen Abschnitts vollständig gelöst haben. Auch enthalten nicht alle Aufgaben den vollständigen Rechenweg sondern unter Umständen nur den Endbetrag einer längeren Kalkulation
(B) Nun gibt es unterschiedliche Fähigkeiten und Übungsinteressen in der gemäß Vorwissen sehr heterogenen Gruppe:
a) Studierende, die die Aufgaben gelöst haben und nur ein Feedback zu Ihrer Lösung möchten. (in Präsenz oder per Zoom)
Der größte Teil der Studierenden (> 60%) löst zuhause die Aufgaben selbständig, hat dann aber Interesse an Feedback zur eigenen Herangehensweise. In Präsenz oder – auf Wunsch – digital per Zoom werden die Studierenden gebeten, ihre Lösungen vorzustellen, so dass die jeweils anderen vergleichen, kommentieren und diskutieren können. Ganz wichtig ist es mir, dass es oft keine „Musterlösung“ gibt und verschiedene Herangehensweisen – auch in der Klausur – zur vollen Punktzahl führen können.
b) Studierende, die gemeinsam in Gruppen an die Lösung der Aufgaben herangehen wollen. (Derzeit nur in Präsenz, wäre in Zoom aber auch künftig denkbar)
Ein Teil der Studierenden (ca. 30%) fühlt sich wohler, gemeinsam mit anderen Studierenden an die Lösung der Aufgaben zu gehen. Bereits ab dem 2. Termin bilden sich oft feste Gruppen, die sich dann unter meiner Begleitung an die Aufgaben setzen und sie gemeinsam lösen. Als Übungsleiter gebe ich Starthilfe, Impulse und berate die Gruppen bei Uneinigkeit, was der richtige Weg ist.
c) Studierende, die noch recht ratlos sind und die Aufgaben gerne nochmal grundsätzlich besprechen wollen.
Auch Studierenden, die völlig ratlos sind, kann ich so in der Übung ein Angebot machen und erkläre den Kontext, die Formeln und die Vorgehensweise nochmal grundsätzlich. Meist handelt es sich dabei um nicht mehr als 2-3 Studierende und diese Art der Übung findet auch nicht bei jedem Termin statt. Bei komplexeren, quantitativen Aufgaben ist es jedoch eine hervorragende Möglichkeit, auch für mich noch einmal zu überprüfen, was ich in der Vorlesung besser erklären kann, oder wo noch das eine oder andere Zusatzmaterial (bspw. Buchquelle oder Video) hilfreich sein kann.
(3) Herausforderung Hybrider Unterricht
Aufgrund der bis zum Sommersemester 2023 fehlenden technischen Ausstattung in der Hohfederstrasse wurde mit der mobilen Lösung „Logitech Group“ gearbeitet.
Für den Aufbau, die Installation und den Abbau müssen vor und Ende der jeweiligen Veranstaltung etwa 5 Minuten aufgewendet werden. Auch der Transport durch Feuerschutztüren oder abgesperrte Seminarräume ist umständlich. Da es ein portables System ist, muss auch beim Verlegen der Kabel darauf geachtet werden, dass niemand stolpert oder ein Gerät beschädigt wird.
Auch würde ein rein digitaler Unterricht für grundsätzlich in Präsenz studierende Personen folgendes Problem bereiten: die einzige Klage der Studierenden besteht in der Abwechslung zwischen digitalen Inhalten und Lehre in Präsenz. Nicht jeder findet einen geeigneten Platz im Gebäude, um bspw. zwischen zwei Präsenzveranstaltungen ein digitales Angebot wahrzunehmen. Das Pendeln nach Hause dauert oft zu lang.
(4) Fazit
Das Ansprechen der unterschiedlichen Studierendentypen mit verschiedenen Vorerfahrungen hat sehr gut geklappt.
Eine erwähnenswerte Schwäche des Konzeptes ist: vereinzelt kann es beim einen oder anderen Studierenden die Prokrastination fördern. Durch die sehr aufwändig gestaltete Moodle-Umgebung mit den zahlreichen Lern- und Lösungsvorschlägen wird u.U. dazu verführt, während des Semesters sich nicht zu beteiligen und stattdessen alle Inhalte auf die Klausurvorbereitung unmittelbar vor der Prüfung zu verschieben.
Der Beitrag wurde veröffentlicht im September 2023 und zuletzt aktualisiert im September 2023.